Michael Schlechtriemen - Die Haltung wirkt

Michael Schlechtriemen (www.schlechtriemen.de) ist langjähriger Coach und Trainer in Mainz. Seine Kunden sind z.B. das ZDF, Lufthansa, Kliniken, Ministerien, soziale Einrichtungen. Der Diplom-Pädagoge, Supervisor und Organisationsberater verfolgt den personenzentrierten Ansatz nach Carl Rogers. Im Gespräch erläutert er seine Haltung im Coaching-Prozess und wie er seinen Klienten Raum gibt, zu wachsen. Das Interview führte Jürgen Felger.
Dieses Interview ist auch als mp3 erhältlich: Download hier.
Coaching-Markt
Vom Allgemeinen vielleicht zum Speziellen: Wir sehen ja im Moment eine Wirtschaftskrise. Hat diese einen Einfluss auf den Bereich Coaching? Hat sich die Quantität der Anfragen verändert? Gibt es spezielle Themen, die jetzt besonders nachgefragt werden?
Ich erlebe durch die Wirtschaftskrise keine Veränderung in der Quantität. Grundsätzlich ist mein Eindruck, dass der Veränderungsdruck in Unternehmen und Organisationen ständig wächst. Vor 20 Jahren durchliefen die Organisationen nicht so schnelle Veränderungszyklen wie heute. Der Veränderungsbedarf erhöht im Allgemeinen den Beratungsbedarf. Es gibt im Moment natürlich die Tendenz, den Etat für Personalentwicklung zu kürzen, da die finanziellen Ressourcen knapp werden. Bei dieser Entwicklung gibt es jedoch momentan auch die Gegenbewegung, dass der Druck viele dazu veranlasst, sich gerade jetzt in schwierigen Zeiten Beratung und Unterstützung zu holen.
Wie sehen Sie die Entwicklung im Bereich der Coaching-Ausbildung? Ich meine zu erkennen, dass immer mehr dieser Ausbildungen angeboten werden.
Ja, das kann ich bestätigen. Ich halte das zum Teil auch für eine Modeentwicklung. Es gab einmal viele Anfragen bzgl. einer Psychotherapie-Ausbildung. Als das nicht mehr so interessant war, gab es den Trend zu einer Supervisoren-Ausbildung, dann zu einer Organisationsberater-Ausbildung und momentan zu einer Coaching-Ausbildung. Für eine Coaching-Ausbildung spricht, dass sie von vielen Instituten weniger umfassend angeboten wird als die Supervisoren-Ausbildung. Das passt in die heutige Zeit, in der berufstätige Menschen auf Grund des Veränderungsdrucks eine kürzere Ausbildung vorziehen.
Wie lange dauert die Coaching-Ausbildung nach den Prinzipien der GWG, die Sie anbieten?
Die Grundstufe ‚Beratung’ der Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie (GWG) dauert zwei Jahre. Dort lernen Sie eine grundlegende Beratungskompetenz. Darauf aufbauend können Sie eine Supervisoren- und Coaching-Ausbildung durchlaufen.
Wir verwenden gerade den Begriff Coaching. Wie würden Sie diesen Begriff in einfachen Worten definieren? Ich habe gehört von Personal Coaching, Business Coaching, IT Coaching, Team Coaching oder Coaching im Sport.
Manche der von Ihnen gerade genannten Begriffe sind mit der Vorstellung eines Trainers, Begleiters, Anwalts oder Unterstützers im Hintergrund verknüpft. Der Tennis-Coach war wohl der erste Coach. Er hat den Sportler trainiert, aber auch das ganze Umfeld für den Sportler organisiert. Von daher verbinden wir mit dem Begriff Coaching traditionell trainierende und unterstützende Aspekte. Wissenschaftlicher oder systematischer würde ich das Coaching als psychosoziale Beratung einordnen, und zwar speziell für berufliche Themen. Coaching ist für mich eine Supervision für Führungskräfte. Andere definieren Coaching als Training und Supervision als Selbstreflexion. Aber in der Supervision muss man doch auch trainieren, und im Coaching muss man auch über sich nachdenken. Für mich macht es also mehr Sinn, Supervision zu definieren als Beratung für Menschen im Beruf und Coaching spezieller als Supervision für Führungskräfte.
Mitunter wird Coaching vom Wort Kutscher oder Kutsche abgeleitet. Können Sie sich damit anfreunden oder kennen Sie diese Definition?
Ich verwende das Bild der Kutsche ganz gerne, um mit Führungskräften an ihrer Führungsrolle zu arbeiten. Ich frage sie zum Beispiel: "Wenn Sie sich eine Kutsche vorstellen, wo sehen Sie sich dabei als Führungskraft?" Einige sagen dann: "Ich bin der Gaul, der den ganzen Laden zieht. Meine Aufgabe ist es, die Abteilung / die Organisation vorwärts zu bringen." Eine andere Äußerung ist: "Ich sitze auf der Kutschbank und habe die Zügel in der Hand. Ich steuere die Mitarbeiterschaft. Das ist meine Aufgabe." Und es gibt ein paar ganz Kluge, die sagen: "Ich sitze hinten in der Kutsche und studiere die Landkarten für neue Wege, die wir gehen wollen"

In Ihrer Definition des Coachs wollen Sie das Bild der Kutsche offensichtlich nicht verwenden. Mir schwebt gerade etwas vor in der Art, dass der Coach jemand ist, der zusätzlich daneben her reitet.
Ja genau. Damit kann ich mich anfreunden. Als Coach sehe ich mich als jemand, der unabhängig ist und die Dinge unbefangen von außen sehen kann. Auch sehe ich mich als jemand, der sozusagen mitreitet, der sich auf die Verbindung mit dem anderen einlässt, auf das Arbeitsfeld des Coachees eingeht und als jemand der versucht, mit ihm seine Fragen und seine Themen zu klären. Ich brauche hierfür zwei wichtige Werkzeuge. Das eine wichtige Werkzeug ist, ich muss gut erfassen können, was das eigentliche Thema des Coachees ist. Dadurch helfe ich dem Coachee, sich selbst besser zu begreifen. Das zweite Handwerkszeug ist zu wissen, wie Organisationen, Teams, Mitarbeiter und Kunden ticken. Um dem Coachee zu helfen, mit bestimmten Prozessen umzugehen und sich gut und konstruktiv zu steuern, muss ich wissen, wie Teams funktionieren.
Ich habe neulich ein Buch gelesen, in dem alle beschriebenen Coaching-Fälle „erfolgreich“ zu Ende geführt wurden. Wenn ein Coaching scheitert, wie viel Schuld trägt der Coach? Wie viel der Coachee?
Das lässt sich nicht genau beantworten. Ich würde da noch einen weiteren möglichen Schuldigen sehen. Das könnte auch die Organisation sein, die das Coaching initiiert hat. Wenn man einmal die Anteile zuordnet, dann könnte man sagen, an einem gescheiterten Coaching ist der Coachee dann schuld, wenn er diese Situation nicht für sich nutzt. Denn er hat ja jemanden, der ihn unterstützt, sich selbst im Beruf zu klären. Das wäre ein lernunfähiger oder nichtreflexionsbereiter Coachee, der die Gelegenheit nicht beim Schopf ergreift.
Stichwort Beratungsresistenz…
Oder der Coachee ist einfach unmotiviert. Welche Fehlerquellen kann es beim Coach geben? Der Coach könnte evtl. unfähig sein, zu verstehen, worum es eigentlich geht. Er könnte eventuell unfähig sein, eine Verbindung zum Coachee herzustellen und ihn dort abzuholen, wo er ist. Oder er könnte vielleicht unerfahren sein, was die Themen und die Klärungsbedarfe des Coachees angeht. Der dritte Bestandteil wäre die Organisation: Der Erfolg mancher Coachings hängt davon ab, dass die Organisation mit eingebunden ist. Zum Beispiel sagt die Organisation: „Unsere Führungskräfte können gerne ein Coaching in Anspruch nehmen, das interessiert uns aber weiter nicht.“ Es kann also sein, dass eine einzelne Führungskraft das Coaching für sich gut nutzt, aber die Organisation die Möglichkeiten nicht nutzt, weil sie nicht geklärt hat, welche Entwicklungen sie denn mit deren Führungskräften gehen möchte, wo sie die Führungskräfte sieht und was sie ihnen auf den Weg gibt. Was sollen die Führungskräfte bei dem Coaching für sich erarbeiten? Und welchen Beitrag können wir als Organisation leisten, dass sie diese Kompetenzen, die sie gerade entwickeln wollen, bei uns auch nutzen können?
Also spielen auch die externen Faktoren außerhalb des Coachings eine Rolle, in dem Fall auch die Organisation des Coachees. Vielleicht noch die Umstände, dass man sich vielleicht etwas vornimmt, aber dann eben trotzdem scheitert, auch wenn man es versucht hat. Das kann ja vorkommen.
Wenn Sie Coaching als unterstützende Begleitung auffassen, entwickeln Führungskräfte ihre Kompetenz. Dies ist dann auch eine Form der Entwicklung der Organisation. Wenn die Organisation aber nicht für kompetente Führungskräfte bereit ist, wenn sie den Führungskräften Kompetenz gar nicht zubilligen möchte und wenn sie vielleicht gar nicht an der Klärung bestimmter Strukturen interessiert ist, dann nutzt Coaching eigentlich nicht viel. Der Organisation schon gar nicht und dem Einzelnen nur begrenzt. Der Coachee kann sich dann zwar selber klären, er kann es dann in seiner Organisation aber nur schwer anwenden.
Methode
Wie gehen Sie als Coach persönlich damit um, wenn Führungskräfte Ergebnisse im Coaching sehen wollen? Führungskräfte stehen wohl meist ständig unter Druck. Sie sollen Ergebnisse liefern und sagen evtl. zu Ihnen: „Jetzt haben wir ein paar Gespräche gehabt, Herr Schlechtriemen. Kann das nicht ein bisschen schneller gehen? Das Problem drängt.“ Wie gehen Sie mit einer solchen Situation um?
Die Frage impliziert, dass sich der Druck, den der Coachee verspürt, sich auch zwischen dem Coach und dem Coachee abbildet. Zunächst hatte der Coachee das Problem des Drucks, und jetzt macht er es zu meinem. Dieses Phänomen nennt sich Spiegelprozess. Dieses Phänomen gibt es in Bezug auf viele Themen, die Coachees haben. Irgendwann bildet sich das Thema des Coachees auch in der Beziehung zum Coach ab. Das ist ein interessantes Phänomen. Damit kann man sehr gut arbeiten. Das hilft dem Coach, mehr von dem zu erfassen, wie es dem Coachee geht. Denn wenn ich seiner Mitteilung folge und jetzt bei mir selbst nachspüre, kann ich jetzt noch besser nachfühlen, wie es dem Coachee geht.
„Herr Schlechtriemen, jetzt war ich schon so oft in einer Sitzung bei Ihnen und ich komme immer noch nicht voran. Wann kann ich denn jetzt endlich Ergebnisse sehen?“
Genau. Ich kann mich dann vielleicht besser einfühlen, wenn es mir gelingt, diesen Druck bei mir wahrzunehmen, ohne dass ich das gleich in Handlung umsetzen muss. Wenn ich jetzt aber den Druck selber agiere, ist dem Coachee nicht geholfen. Um zu klären, wie ich damit umgehe, wäre einerseits zu erfassen, wie sehr der Coachee tatsächlich unter Druck steht und natürlich mit ihm zu sehen, welche Schritte er denn gehen will. Welche Schritte sind auch angemessen? Braucht es die Fähigkeit, sich abzugrenzen zu lernen bei Druck? Ist es vielleicht das, vor dem der Coachee steht? Sollte er an bestimmten Stellen effektiver zu arbeiten? Das heißt, die eigenen Prioritäten klarer zu setzen und sich zuerst um die wichtigeren Dinge kümmern, um schneller Erfolge zu erzielen. Oder was ist es sonst, in dieser Situation des Coachee, wenn er sagt, „Mir geht es nicht schnell genug“?

Ich denke gerade an meine Studienzeit. Da gab es den Begriff Coach, wie man ihn heute versteht, noch nicht. Da gab es lediglich den Unternehmensberater, den es nach wie vor gibt. Jetzt sind Sie jedoch kein Berater, sondern Coach. Der Coachee sagt doch vielleicht auch manchmal: „Herr Schlechtriemen, geben Sie mir mal einen Rat, was soll ich denn tun?“ Sind Sie da nicht geneigt, auch tatsächlich einmal einen Ratschlag zu geben?
Wenn ich sehe, was er tun könnte, und ich habe den Eindruck es könnte für ihn passen, warum soll ich es ihm vorenthalten? Wichtig bei Ratschlägen finde ich, wenn man sich dazu hinreißen lässt, immer wieder neu zu orten, passt denn diese Idee, die ich von außen habe, passt sie denn auch für die Innenansicht des Coachees? Wenn ich meine Idee erwähne, werde ich sehr genau mit ihm zusammen prüfen, ob er sie sich als passend vorstellen kann. Und ich werde nicht gleich mit einem Ratschlag antworten, wenn ich danach gefragt werde. Die Erfahrung zeigt ja, ein Coachee hat ja schon viele Dinge ausprobiert, bis zu dem Zeitpunkt an dem er Rat sucht. Und dann interessiert mich, was hat er denn schon probiert und warum war es erfolglos? Warum ist er an dieser Stelle jetzt gerade ratlos? Es hat ja Gründe. Häufig kann man sehr viel besser Situationen lösen, wenn man das alles erst einmal geklärt hat. Häufig ist es dann auch so, dass der Coachee keine Ratschläge mehr braucht, sondern wenn er das erfasst hat, weswegen er an dieser Stelle festhängt, er dann in dem Moment weiß, was zu tun ist.
Die Lösung liegt dann praktisch auf der Hand.
Wenn der Coachee z. B. bemerkt: „Ich habe schon viel probiert auf indirekte Weise. Aber auf dem direkten Weg traue ich mich nicht. Das habe ich noch nie gemacht.“ Dann wissen wir, was wir zu überlegen haben. Nämlich, wie könnte der direkte Weg aussehen?
Wenn Sie den personenzentrierte Ansatz, den Sie verfolgen, in einfachen Worten beschreiben müssten, wie würden Sie ihn definieren?
In einfachen Worten ist das personenzentrierte Arbeiten im Coaching vor allem eine Hilfe zur Selbsthilfe, eine Hilfe vor allem zur Selbstklärung. Weniger werden wir von außen sagen, was zu tun ist, als vielmehr die Ressourcen des Coachees nutzen, dass er seine Themen auf eine für ihn passende Weise nutzen kann.
Ich wurde schon einmal konfrontiert mit der Aussage: „Jetzt haben wir ja nicht viel Neues besprochen. Das ist ja alles bekannt.“ Sozusagen die Klärung des Vorhandenen…
Das habe ich nicht gesagt. Wenn ich mit Menschen arbeite, würde ich gerne verstehen, was die spezifischen Ressourcen des Coachee sind, die er nutzen kann, um seine Probleme zu lösen.
Sie sagen, es sind Lösungsansätze vorhanden und diese werden beleuchtet.
Es hilft ihm ja nicht, wenn ich ihm sage, ich würde das so und so machen, weil ich vielleicht bestimmte Fähigkeiten habe, die ich selbst gerne zur Lösung einsetze. Wenn mein Coachee nun ganz anders geartet ist, hilft ihm das nicht. Er muss ja eine Lösung finden, die er auch umsetzen kann, mit der Art, wie er ist und mit dem, was er kann. Also muss ich mich an seinen Ressourcen orientieren. Außerdem muss ich mich schon auch daran orientieren, wie die Innenansicht seiner Organisation ist. Von außen betrachtet, kann man viele Dinge. Aber es fühlt sich völlig anders an, selbst in dieser Organisation zu stecken und vielleicht bestimmte Dinge zu sehen und zu erfahren, die wir von außen so gar nicht bemerken. Also muss ich die Lösung schon mit ihm zusammen entwickeln. Das ist für mich zentral.
Zugegeben, das war natürlich vorher etwas provokant gefragt. Die Lösung entwickeln, da entsteht schon etwas Neues. Es ist also nicht so, dass nur etwas beleuchtet wird, was vorhanden war, sondern irgendwo schon etwas Neues dabei heraus kommt. Womöglich ist der Lösungsansatz schon irgendwie verschüttet vorhanden. Der Coachee hat sich ihn vielleicht schon einmal überlegt, aber war noch nicht sicher in der Umsetzung oder wie er den richtigen Dreh hinbekommt. Oder wie sehen Sie das?
Das Neue kommt auf verschiedene Weise zu Stande. Das Neue könnte sein, dass der Coachee, beim Besprechen mit einem aufmerksamen und sehr präsenten Coach, auf einmal Dinge bewusst erkennt, die ihm vorher nicht klar waren. Das wäre einmal der Mindestanspruch. Das Neue könnte aber auch dadurch kommen, dass wir zwei im Gespräch zusammen neue Ideen für seine Situation entwickeln. Und das Neue könnte ebenso dadurch kommen, dass ich ein Organisationswissen, das ich habe, einbringe und es für seine Situation passt. Ich nenne Ihnen mal ein Beispiel: Da hat eine Führungskraft mit einem schwierigen Mitarbeiter zu tun und mit ihm umzugehen, und dieser Mitarbeiter greift den Vorgesetzten immer wieder an und unterläuft seine Vorgaben. Und da gibt es nun mal, das weiß ich, bestimmte Führungsinstrumente, mit denen man arbeiten kann, z. B. das Kritikgespräch. Wenn aber eine Führungskraft so etwas nicht kennt und nicht weiß, wie man konstruktiv kritisiert und verbindliche Verabredungen trifft, dann werde ich das einbringen und das mit ihm auch trainieren.
Eine Art Methodenwissen.
Ein Methodenwissen und ein Üben. Das wäre der trainierende Teil des Coachings.
Es geht also nicht nur darum, den Coachee mit Lösungen zurück in seine Organisation zu schicken, sondern auch ihm zu zeigen, wie er sich verhalten kann. Nicht nur mit dem gleichen Verhalten an die Probleme heran zu gehen, sondern auch neues Verhalten zu trainieren.
Sie sprechen die Veränderungsaspekte an. Wir versuchen im Coaching, Verhalten zu verändern. Der Coachee möchte vielleicht erstens sein Verhalten verbessern. Wir versuchen aber zweitens auch Einstellungen zu verändern, die Dinge neu zu sehen und mit einer neuen Einstellung an die Sache heran zu gehen, sich z. B. nicht so unter Druck setzen zu lassen. Und wir versuchen drittens, Einfluss auf Gefühle zu nehmen. Mich in meinem Gefühl besser zu verstehen heißt ja, dass ich meine Gefühle in dem Moment auch verändere. In diesen drei Bereichen passieren Veränderungen.
So wie ich den personenzentrierten Ansatz kennen gelernt habe, gehen Sie im Kontrast zu anderen Methoden des Coachings ja nicht daran, den Coachee lange zu befragen, wie es in seinem Bereich denn genau aussieht und wo das genaue Problem ist. Zumindest wird die Problemanalyse nicht als vorrangigster Bereich angesehen. Da kommen wir vielleicht auch zum Kern dieser Methode: Es heißt ja, wer fragt führt. Warum analysieren Sie Ihre Klienten nicht und fragen erst einmal seine ganze Situation ab?
Sie berühren damit den revolutionären Aspekt des personenzentrierten Ansatzes, den es von Anfang an gab. Nämlich dass wir uns um eine herrschaftsfreie Kommunikation bemühen. Eine herrschaftsfreie Kommunikation ermöglicht eine sehr viel tiefere Klärung von Prozessen als eine, in der ich sozusagen über dem Beratenden stehe. Wir personenzentrierten Coaches sind davon überzeugt, dass der Ratsuchende viel Potenzial in sich trägt, welches er vielleicht zum Teil nicht nutzt, das aber vorhanden ist um die Themen und die Probleme zu lösen, mit denen er umzugehen hat. Ich glaube, es ist eine sehr überhebliche Einstellung zu glauben, man selbst könnte das gewissermaßen besser als der Coachee.
Zum Beispiel das System analysieren oder die Transaktionen…
Sie sprechen die Analyse an. Dabei geht es erst einmal darum, Abstand zum Thema des anderen und zur Person herzustellen. Als personenzentrierte Coaches wollen wir eigentlich in diesem Teil keinen Abstand, sondern wir wollen einen dichten Dialog erreichen. Uns interessiert nicht so sehr die Situation zu steuern, indem ich den Klienten dazu bewege, dass er den Weg geht, den ich für richtig halte, sondern ich lasse mich vom Klienten führen, an die Punkte, an denen es hakt. Dafür brauche ich nicht viele Fragen. Ich brauche ein paar. Ich muss das Organigramm kennen. Ich muss bestimmte andere Zusammenhänge kennen, um seine Problemstellung zu erfassen. Aber die meisten Informationen sind ja in den Mitteilungen des Klienten, des Coachee, schon vorhanden. Die kann ich ja gleich verstehend verbalisieren.
Die personenzentrierte Gesprächsführung hat da offenbar genau ihre Vorteile.
Ich sehe, wenn Sie jetzt diesen Teil der Methodik ansprechen, einen Vorteil darin, dass im Gegensatz dazu Fragen einen gewissen Umweg über den Verstand darstellen und die Verbalisierung, so nennen wir ja eine verstehende Reaktion auf den Klienten, diese tiefe verstehende Reaktion, eine Verbalisierung seiner emotionalen Erlebnisinhalte ist. Die Verbalisierung ist der direkte Weg. Die Frage ist oft der Umweg über den Kopf. Das wäre ein Vorteil. Wobei ich immer sage, viele andere Ansätze bedienen sich ja mittlerweise auch der Verbalisierungstechnik. Den größeren Vorteil sehe ich in der Beziehungsgestaltung. Es handelt sich um eine Beziehung, in der der Coach nicht so sehr seine Expertenrolle in den Vordergrund stellt und damit den Coachee unmündig macht, sondern in der der Coachee eine gleichrangige Position einnimmt, sein Wissen einbringt, aber auch das Wissen des Coach einfließt. Das bringt den Coachee automatisch in eine andere Position, die ihn schneller und leichter lernen und Verantwortung übernehmen lässt. Im Idealfall würde der Coachee sich nicht bewundernd über den Coach äußern, sondern begeistert über seinen eigenen Fortschritt.
Ich denke da gerade an so manche Coaching- und Rhetorik-Gurus, so nenne ich es einmal. Ich sage es jetzt einfach: Ich habe gestern ein Video von Richard Bandler [Anm. Mitbegründer des NLP] gesehen, in dem seine Zuhörer alle sehr begeistert waren und ihm enthusiastisch zujubelten.
Gehen Sie einmal davon aus, dass Sie jemanden, der mit ungelösten Themen zu Ihnen in eine Beratungssituation kommt, sehr gut missbrauchen können, um Ihren eigenen Narzissmus zu befriedigen. Natürlich können Sie als Coach wer weiß was erzählen, wie toll Sie sind und damit Bewunderung erhalten. Aber, wer bedient sich da an wem? Da würde sich der Coach sozusagen ein Stück am Coachee bedienen. Seine Bewunderung tankt dann der Coach. Ich meine, das ist nicht das Ziel eines Coachings. Das Coaching soll doch helfen, selbst zu wachsen, also muss der Coachee doch im Zentrum stehen und nicht ich.
Darüber könnten wir wahrscheinlich noch lange reden. Und bestimmt wurden schon einige Bücher darüber geschrieben. Apropos, ein Vorgriff auf die Thematisierung Ihrer Person: Von Ihnen habe ich noch kein Buch gefunden. Aber sie haben wissenschaftliche Beiträge geschrieben. Gibt es Buchpläne? Ich wäre einer der ersten Käufer.
Es gibt diesbezüglich keine Pläne. Ich halte mich nicht für den geborenen Autor. Das können andere besser. Ich habe auch nicht die Zeit, ein Buch zu schreiben.

Ich weiß aus einem Gespräch mit Ihnen, dass einer Ihrer Kunden das ZDF ist. Soweit ich verstanden habe, geht es da um Coaching, aber auch um die Vermittlung von Methodenkenntnissen und den Erwerb von neuen Fähigkeiten. Wie viel von dieser Art Arbeit ist Coaching und wie viel davon ist Verhaltenstraining? Oder klären Sie das in einem solchen Fall vorher ab?
Wenn Sie von Methoden sprechen, meinen Sie wohl Training. Ich kann diese Frage nicht allgemein beantworten. Der Coachee im freien Coaching bestimmt die Themen. Wenn er jetzt ein Thema hat, wie z. B. "Ich verstehe das nicht, mir passiert das immer wieder, wenn ich zwei Jahre in einer Stelle bin, werde ich gekündigt." Dann geht es weniger um Training als vielmehr, sich selbst besser zu begreifen und um den reflexiven Selbstklärungsprozess zu den Themen. Da machen wir uns beide auf die Suche nach den Gründen. Wie kommt das? Wenn jetzt jemand kommt und sagt, "Ich habe eine schwierige Aufgabe vor mir. Ich soll zwei Abteilungen zu einer verschmelzen lassen. Ich weiß, die beiden Abteilungen konkurrieren miteinander. Ich bin die neue Leitungskraft." Dann werden wir sehr viel pragmatischer, handlungsorientierter vorgehen. Das ist eine andere Fragestellung. Das hat viel mit der Fragestellung des Coachee zu tun . Wenn Sie das ZDF ansprechen. Beim ZDF habe ich im Bereich der Produktion einen Auftrag für die Entwicklung der Führungskräfte. Das sind mehrere Maßnahmen. Da ist ein Teil der Maßnahmen Training, ein Teil ist Wissensvermittlung und ein Teil ist Coaching. In den Seminaren üben die Mitarbeiter z. B. Gespräche zu führen, Konferenzen zu leiten, zu moderieren, ergebnisorientierte Problemlösungsprozesse strukturiert zu planen und durchzuführen, Teams zu leiten, Teamprozesse zu steuern, Konfliktmoderation. Das wird alles trainiert. Das kann man richtig üben. In dem Coaching, das ein Teil der einjährigen Maßnahme ist, steht dann die Selbstreflexion im Vordergrund. Da ist das Training größtenteils schon abdeckt. Da geht es darum, wie erlebt sich die Führungskraft? Welche Handlungsmuster habe ich eigentlich intuitiv, die ich einsetze? Wie werde ich von anderen erlebt? Wie reagiere ich auf spezifische Situationen, wie auf Mitarbeiter, die aufsässig, selbstbewusst oder schüchtern sind? Das ist dort in eine Gesamtmaßnahme eingebunden. Ich führe in Organisationen öfter längere Führungskräfteentwicklungen durch. Ein Teil davon ist Coaching.
Sie sagten vorhin, wenn eine einzelne Person kommt und das Coaching nicht in seine Organisation eingebunden ist, dann kann es z. B. sein, dass die Führungskraft noch so viel Coaching in Anspruch nehmen kann, aber die Organisation und der Coachee nicht harmonieren werden. Folglich wäre das Problem nur zu lösen, wenn der Coachee und die Organisation getrennte Wege gehen.
Es kann Teil des Coachings sein, zu klären, "Ich muss hier gehen." Es ist evtl. ein mühsamer Schritt, zu dieser Erkenntnis zu kommen. Gleichzeitig aber auch vielleicht auch ein befreiender.
Person
Sehen Sie sich mehr als Coach oder mehr als Ausbilder, wenn wir jetzt von Methodenvermittlung sprechen und von Methoden, die Sie im Coaching anwenden?
Im Coaching sehe ich mich als als jemand, der begleitet und hilft zu klären. Zu klären, wie kann man Prozesse im Beruf verstehen? Was steckt dahinter? Das hilft ja oft dem Coachee, dass er begreift, was da überhaupt los ist. Wie kann ich Strategien entwickeln? Wie kann ich mich darauf auf gesunde Weise einstellen? Unabhängig davon mache ich sehr viel Ausbildung. Das ist eine andere Baustelle.
Wo die Wahl der Möglichkeiten so breit gefächert ist, warum haben Sie sich ausgerechnet auf den personenzentrierten Ansatz von Carl Rogers fokussiert? Wann kam die Faszination hierfür?
Ursprünglich galt meine Faszination der Psychoanalyse. Als Schüler in der Oberstufe habe ich Freud gelesen und war beeindruckt. Damals habe ich beschlossen, ich will Psychotherapeut werden und habe dann in meinem Studium eine psychoanalytische Diplomarbeit geschrieben und mich sehr viel mit dem Thema beschäftigt. Ich habe aber in meinem Studium den personenzentrierten Ansatz kennengelernt und dann direkt nach dem Studium, während meiner ersten Berufsjahre entschieden, ich mache als Einstieg eine personenzentrierte Grundausbildung. Damals hatte ich die Überlegung, danach mache ich etwas Richtiges.
Da schmunzeln wir jetzt beide. Die Basis bei Ihnen ist die personenzentrierte Gesprächsführung. Sie haben sich allerdings auch mit anderen Bereichen beschäftigt.
Da habe ich den Ansatz kennengelernt und die Tiefe dieses Ansatzes schätzen gelernt. Und ich bin immer dabei geblieben. Dies ist meine Basis. Ich habe auch analytische Fortbildungen gemacht, z. B. systemische Ausbildungen, Gestalttherapie. Ich kann mit verschiedensten Methoden arbeiten. Die Gestalttherapie hat hervorragende Methoden entwickelt. Auch die Systemiker haben tolle Methoden entwickelt, mit denen Sie das Zusammenspiel der Gruppe des Systems veranschaulichen und verstehbar machen können. Das lässt sich gut integrieren in ein personenzentriertes Arbeiten. Die Haltung aber, mit der ich arbeite, ist anders als die eines Gestaltertherapeuten oder Systemikers. Meine Heimat ist der personenzentrierte Ansatz. Die Haltung wirkt am meisten, nicht die Technik.