Coaching - Die Kunst des Zuhörens: Die zwölf Prinzen und der wandernde Bursche

Es war einmal eine Prinzessin, die war sehr traurig, so dass sie verstummte. Der König bat die Prinzen des Landes zu sich. Wer es schaffe, seine Tochter aufzuheitern und ihr Schweigen zu brechen, bekäme seine Tochter zur Frau.
Die Prinzen des Landes kamen. Der erste versuchte sie zu trösten. Der zweite versuchte es mit Schmeicheleien. Der dritte wollte sie ablenken. Der vierte befragte sie nach den Gründen ihres Zustandes. Der fünfte meinte die Lösung in der Jahreszeit zu finden. Der sechste gab vermeintlich motivierende Ratschläge. Der siebte versuchte es mit Kräutern. Der achte hielt einen Vortrag zur Melancholie junger Damen, insbesondere des höheren Standes. Was ebenfalls nicht fruchtete. Der neunte appellierte an ihr Gewissen. Der zehnte warnte vor schlimmen Folgen ihres Verhaltens. Der elfte machte ihr Vorwürfe. Der zwölfte gab nach einiger Zeit ebenfalls auf und machte deutlich, wer der Grund seiner Verärgerung war.
Am nächsten Tag kam ein wandernder Bursche und hörte von der Prinzessin. Als er um Einlass bat, verweigerte man dies zunächst. Da er aber so beharrlich darauf bestand, kam der König zum Schluss, es würde wohl nichts nutzen, aber schaden könne es vermutlich auch nicht. Da erhielt der Bursche Zutritt und ging zur Kammer der Prinzessin. Er sah sie auf Ihrem Lager und spürte, dass sie traurig war. Er setzte sich zu ihr und schwieg ebenfalls. Es vergingen Stunden. Der Mittag löste den Morgen ab. Er saß weiter schweigend bei ihr. Irgendwann brach dann der Abend an. Als die Sonne gerade unterging bemerkte sie, dass sie nicht allein war. Sie schaute auf. Er blickte zurück. Da sagte er zu ihr: "Du bist so traurig, dass du nicht mehr wahrnimmst, was um dich herum passiert." Es verging ein Moment. "Ja", sagte die Prinzessin. Das war ihr erstes Wort, seit drei Monaten.
Frei nach Alexa Mohl, Der Wächter am Tor zum Zauberwald