Christoph Wahlen - Das emotionale Spiel der Daytrader

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Christoph Wahlen ist Mental Coach (www.pro-mental-coaching.de) und hat sich auf Daytrader und Spitzensportler spezialisiert. Das Interview führte Jürgen Felger für Frankfurter-Finance.de.

Coaching

Bis vor kurzem war mir unbekannt, dass es so etwas gibt: Herr Wahlen, Sie sind Coach unter anderem für Daytrader. Was kann ich von einem Daytrader Coaching erwarten?

Die kulturelle Prägung und die biologische Entwicklung führen dazu, dass der Durchschnitts-Mensch am Markt Geld verliert. Es ist unumstritten das die emotionale Fähigkeit Strategien in der Praxis umzusetzen, der Schlüssel zum Erfolg ist. Deshalb ist es wichtig, dass Trader ihre mentale Kraft trainieren.

Bis jetzt gab es nur eine Hand voll Personen, die sich professionell mit dem Thema Trading-Psychologie beschäftigen. Ad-hoc fallen mir Brett Steenbarger, Stuart Schneidermann und Van Tharp ein.

Trader, Portfolio- oder Hedgefonds-Manager unterschätzen die Psycho-Dynamik beim Handeln. Es zeigt sich, dass der überwiegende Teil der Agierenden, bei denen letztendlich die Logik und die Ratio im Vordergrund stehen sollte, mehr und mehr einsieht, das ihr Kopf der Schlüssel zum Erfolg ist. Auch wenn es viele links-hirnig dominante Denker nicht hören wollen: der Mensch ist ein Meister des irrationalen Denkens. Dazu gibt es meterweise Beispiele in der Literatur, sei es z. B. aus Richtung der kognitiven Verhaltenstheorie, wie Dietrich Dörner, der u.a. mit dem „Lohausen-Experiment“ klar macht, wie Menschen in Situationen von Komplexität und Unbestimmtheit reagieren, sei es von Experten der Neuro-Ökonomie und Behavioral Finance. Unter den führenden Köpfen ist es unstrittig, dass der Anleger von einer Reihe Fehlverhalten bestimmt wird, die ihm „teuer“ zu stehen kommt: Sei es selektive Wahrnehmung, bei der Sie nur solche Information wahrnehmen, die Ihrer Meinung entsprechen, sei es Kontrollillusion, sei es, dass Entscheider im Zeitablauf das Risiko unterschätzen, die ihre ursprüngliche Meinung unterstützen, sei es Komplexitätsaversion, bei der Menschen nach „einfachen“ Erklärungen suchen.

All diese Experten beschreiben die Hintergründe, warum Menschen irrational Investitions¬entscheidungen treffen bzw. welche Gehirnregionen für Risiko- und Risikovermeidungsfehler verantwortlich sind. Das ist ein Riesenfortschritt gegenüber der Annahme der „modernen Kapitalmarkt-Theorie“, die u.a. von homogenen Investoren mit rationalem Verhalten ausgehen, die in einem Markt mit vollkommender Information leben, mit einem funktionsfähigen Arbitrageprinzip.

Was bisher fehlte ist jemand, der nicht nur die Symptome erklärt bzw. sie beschreibt und Anomalien begründet, sondern die Ursachen angeht und eine Wende zum Positiven anstößt.

Wie definieren Sie Coaching?

Ich sehe mich als Brückenbauer, der seine Klienten unterstützt sich selber auf den richtigen Weg zu machen. Ich sehe es als Hilfe zur Selbsthilfe!

Sie sagen, „Erfolg entsteht im Kopf“. Mit welchen Erwartungen sollte ein Daytrader einen Mental Coach engagieren. Was muss ich mitbringen?

Emotional stabile Trader beuten die Irrationalität anderer Markteilnehmer aus! Disziplin führt zur Einhaltung eines rationalen Investmentstils bei angemessenem Risiko-/Ertragsverhältnis und geringem emotionalen Druck, doch die kann man sich nicht anlesen. Um erfolgreich zu handeln, müssen drei Faktoren beherrscht werden: erstens positive Erwartungshaltung, zweitens Money Management, das Ihnen erlaubt, kurzfristig auch schlimme Verlustphasen durchzustehen und drittens Psychologie. In Wirklichkeit jedoch bauen alle drei Faktoren auf der Psychologie auf. Der Daytrader kann erwarten, dass er ein umfassendes Training in diesen drei Bereichen bekommt.

Nicht erwarten können Sie Unterstützung im Bereich technische und fundamentale Analyse oder System-Entwicklung, da gibt es gute Coaches! Vertrauen Sie ihrem Bauchgefühl und Ihrem ersten Eindruck! Schließlich haben zahlreiche Experimente in der Neuro-Ökonomie beweisen, dass der Bereich in Ihrem Gehirn, der die Bauchregion abbildet, die Anterior Insula, umgangssprachlich Ihr Bauchwehgefühl, Sie vor Risikovermeidungsfehlern warnt! Das heißt, Ihr Bauchgefühl ist ein sicherer Indikator als Ihr scheinbar rationaler Teil Ihres Gehirns.
Woran erkenne ich einen guten Coach?

Um die Spreu vom Weizen zu trennen, muss sich der Coachee vorab selbst Gedanken machen, woran er/sie arbeiten möchte Jeder kann und jeder muss seinen Zielen Bedeutung geben. Und indem Sie das tun, haben Sie gerade etwas sehr Wichtiges erfahren. Wenn Sie merken, dass Ihr Coach Sie versteht und dabei annimmt wie Sie sind, ist das eine gute Voraussetzung. Entscheidend ist auch, dass der Coach seinem Gegenüber immer die Wahl lässt und individuell auf ihn eingeht.

Methode

Angenommen ich engagiere Sie, was erwartet mich dann genau?

Zunächst einmal geht es beim Einzel-Coaching immer um die genaue Auftragsklärung. Es hat sich heraus gestellt, dass sich hinter dem formulierten Ziel in der Regel ein dahinter liegendes Ziel verbirgt. Im Laufe des Coachings werden wir ein persönliches Stärken-Schwächen-Profil erarbeiten. Dazu wird neben dem Interview das Tradingjournal angeschaut. Und, ich setze mich während er oder sie traded neben ihn und erstelle mit ihm gemeinsam eine emotionale Bestandsaufnahme. Dann werden die emotionalen Bereiche, in denen noch Verbesserungs¬potenzial besteht, Schritt für Schritt angegangen.

Daneben werden wir die Vorstellungskraft erweitern, um eine klare Zielvisualisierung zu üben. Damit dass Sie sich Ihr Ziel visualisieren können und kristallklar sehen, wohin Sie gehen, haben Sie schon die halbe Miete. Parallel dazu wird ein System der Gewinnerwartung entwickelt und verstärkt. Am Ende des Coachings hat sich stets Ihr persönliches Anlageverhalten verbessert.

Soweit ich verstehe, arbeiten Sie mit Selbsttrance und hypno-systemischen Ansätzen, um das Unterbewusstsein zu erreichen.

Die Arbeit mit Ihrem Unterbewusstsein ist der effektivste Weg, um Veränderungsprozesse anzustoßen. Würden Sie auf der Verstandesebene arbeiten, müssten wir den Änderungswiderstand des Egos überwinden. Warum soll ich mir unnötig das Leben schwer machen. Meine Klienten wollen schnelle Ergebnisse: Menschen haben Gefühle, die sie am Markt austragen. Was immer Sie vermeiden wollen – Angst, Ärger, Ablehnung, Wut – werden Sie unvermeidlich am Markt erfahren. Das ist das unerbittliche Gesetz der sich selbst erfüllenden Prophezeihung.

Ein Beispiel: Sie haben die Tendenz, wütend zu werden. Sie gehen eine Position ein und gehen in den Markt, weil Sie ein gutes Einstiegssignal sehen. Sie haben eine S/L-Order gesetzt unter der üblichen Volatilität. Das heißt, Sie haben Ihr Kapital geschützt, falls sich der Markt gegen Sie wendet. Was passiert mit Ihnen, wenn sich die Position gegen Sie dreht und der Stop ausgelöst wird und danach schnell und kräftig in Ihre (ursprünglich geplante) Richtung geht? Die Tatsache, dass Sie am Tagestief ausgestoppt wurden, macht sie wütend! Während Sie die stark steigenden Kurse sehen, werden Sie noch wütender! Nach kurzer Zeit ist der Preis weit über Ihrem Einstandskurs und bestätigt, dass Sie mit dieser Position Recht hatten. Fakt ist jedoch, Sie haben keinen Gewinn, sondern einen Verlust realisiert. Das macht Sie noch wütender! Und der Trend geht weiter und Sie sind 3.000 Euro über Ihrem ursprünglichen Entrypoint. Das alles macht Sie immer wütender! Während Sie jetzt mit sich selbst hadern, verpassen Sie eine weitere Gelegenheit in den Markt einzusteigen. Und das bringt Sie zum kochen, sie sind jetzt vollkommen aus der Fassung. Wer ein emotionales Spiel spielt, bekommt genau das zurück gespiegelt: ein emotionales Spiel! Alles das was Sie vermeiden wollen, wird Sie einholen.

So nüchtern, wie manche glauben, ist der Wertpapierkauf offensichtlich überhaupt nicht.

Die Angst zu Verlieren, aber auch die Angst zu gewinnen, BEIDES sind häufig anzutreffende menschliche Tendenzen, die unser Handeln bestimmen. Wenn Sie mit Gewinnen unangenehme Emotionen verbinden, werden Sie alles tun, um im Mittelmaß zu bleiben! Nehmen Sie folgende Situation: Sie müssen sich unter Zeitdruck eingestehen, dass Sie Fehler gemacht haben, um dann einen Verlust zu realisieren. Das können viele nicht und bleiben beim Prinzip Hoffnung.

Angst ist ein „Urinstinkt“. Angst hat uns Menschen über die Jahrmillionen Jahre überleben lassen. Aber Angst im Leben des 21. Jahrhunderts liefert Fehlsignale. Fehlsignale, die unser Konto erden. Solange es darum ging nur den Tag zu Überleben, war es nicht so schlimm das ein oder andere Mal falsch zu reagieren. Wenn man aber beim Handel Verluste laufen lässt und Gewinne zu schnell mitnimmt, geht irgendwann auch das beste System nicht mehr auf. Und, befindet man sich in einem längeren Drawdown oder hat man seine persönliche Trading-Bruchzahl überschritten, ist man nicht mehr derselbe Mensch. Der emotionale Stress nimmt zu. Das hat zur Folge, dass unser Reptiliengehirn unsere rationalen Teile überstimmt.

Auf dem Markt gibt es gute technische Programme wie Sie Ihre Risiko- und Ihr Money-Management modellieren können. Aber, Ihr Unterbewusstsein kann beides spielend „austricksen“. Ihre innere Einstellung zum Erfolg bestimmt Ihren Handelserfolg und nicht das Handling einer Trading-Software!

Wie funktioniert das von Ihnen propagierte Umdeuten einer Situation?

In Ihrem Gehirn ist eine Reihe von Mechanismen eingebaut, die Sie daran hindert, besser zu werden, sei es Selbstbestätigungstendenzen, erlernte Ängste, kleine Phobien, Urteilsheuristiken, sei es soziale Imitation / Herdentrieb, ein Gefühl der Machbarkeit (Kontrollillusion), etc. Ein Umdeuten der Situation – die Amerikaner nennen es „Flip the script“ – geht mit dem erlebten Perspektivwechsel einher. Nicht untypisch ist es sich „schwach“ zu denken, nach dem Motto: ich habe keine Insiderinformationen, keine Marktmacht, nicht die beste Hardware und Signal-Lieferanten, usw.. Machen Sie einen Perspektivwechsel und versetzen Sie sich in die Situation einer vermeintlichen Autorität bzw. eines 500 Pfund Gorillas, das kann ein Hedgefonds-/PE-Manager oder Bundes-, EZB-, Fed-Banker sein oder welche Position Ihnen in den Sinn kommt. Dabei stellen Sie sich vor, dass die Person, in deren Rolle Sie sich hineinversetzt haben, nur verlieren kann. Sie hat alles was Sie sich wünschen; ein hoher Gewinn wird erwartet, alles andere wäre für ihn eine schallende Ohrfeige. Mit dieser kleinen Übung nimmt man sich selbst den Erwartungsdruck, schließlich realisiert man jetzt, dass der Druck auf dem anderen liegt und nicht auf sich selbst. Das ist ein kleiner Schritt, Emotionen aus dem Handeln heraus zu halten.

Person

Soweit ich weiß, sind Sie selbst Daytrader.

Ich habe mich auf wenige Spezialbereiche beim Mental Coaching fokussiert. Bereiche zu denen ich selber einen direkten Bezug habe, Bereiche bei denen ich weiß, von was ich rede. Im Grunde genommen ist das Coaching auf der Ebene des Unterbewussten eine Querschnitts-Funktion. Während sich viele meiner Kollegen auf die pathologische Seite konzentrieren, habe ich mich der Optimierungsseite verschrieben. Mein Gegenüber muss jedoch den unbedingten Willen haben, genau wie Spitzenathleten, der Beste zu werden und seine Disziplin zu bewahren. Wenn Sie zusammen mit dem Coachee Glaubensätze wie: „es ist schwierig in diesen Zeiten Geld zu verdienen“ verändern können hin zu dem Glaubenssatz „unter ständiger.Selbstdisziplin ist ein Gewinn unvermeidlich“ schaffen Sie es, Gewinner am Markt zu sein. Wenn Sie erkennen, dass es für Ihren Handelserfolg unerlässlich ist, bei einmal erlerntem Verlusttrauma, nach einem schweren Drawdown, die Emotion vom Ereignis abzuspalten, werden Sie verstehen, welchen enormen Beitrag Mental Coaching Ihnen im Handelsalltag bringt. Und wenn wir emotionalen Stress in Spaß umwandeln, weil Sie sich Ihre finanzielle Freiheit erarbeitet haben und stolz auf sich sind, Ihre Stärken gestärkt und Ihre Schwächen geschwächt zu haben, dann haben Sie sich überzeugt, das Richtige zu tun!

Last, but not least ist es zielfördernd, wenn man Stressoren in Motivatoren umwandelt. Die Fähigkeit nach Innen zu schauen verbessert die Selbstwahrnehmung erheblich und macht eine ungefärbte Selbstdiagnose erst möglich. Und das ist, was Sie voranbringt.

Welche Ihrer Qualifikationen sind Ihnen beim Coaching von Daytradern besonders hilfreich?

Neben meiner Ausbildung als hypno-systemischer Coach und dem Besuch einiger NLP-Seminare habe ich ein gutes Einfühlungsvermögen entwickelt. Ich habe den „Stallgeruch“ von den Gebieten, auf die ich mich spezialisiert habe. Außerdem motiviert es mich zu sehen, wie man seinen Kopf dazu nutzen kann, weiter vorannzukommen und jeden Tag ein bisschen besser zu werden.